Ein aktueller Befund – und dazu die Debatte von gestern

Von 2019 bis 2020 evaluierte das Schweizerische Kompetenzzentrum für Menschenrechte (SKMR) neben der Prozess- und Entscheidqualität auch die Qualität des gesetzlichen Rechtsschutzes im Asylverfahren. Die Ergebnisse sind in der andauernden Debatte um das nicht mehr ganz neue Asylverfahren fachlich noch nicht so richtig angekommen.

Der RBS Bern-Fachverantwortliche Stefan Frost im Gespräch beim Magazin «plädoyer».


Am 1. März 2019 trat in der Schweiz das neue Asylgesetz in Kraft. Mit diesem wurde das beschleunigte Asylverfahren eingeführt, das durchschnittlich nur noch 50 Tage dauert. In welcher Qualität aber wird dieses in der Praxis nun umgesetzt? Um das herauszufinden, beauftragte das Staatssekretariat für Migration (SEM) das SKMR damit, die Prozessqualität, Entscheidqualität und den Rechtsschutz in der Anwendung zu überprüfen. Dieses Projekt «PERU» sollte allen Beteiligten Orientierungshilfe geben und aufzeigen, was bereits funktioniert und wo es Verbesserungsmöglichkeiten gibt. Zudem schafft die Evaluation Transparenz für Aussenstehende. Für die RBS Bern als Leistungserbringer ist diese Untersuchung eine willkommene Prüfung der eigenen Arbeit; ein Anstoss, der uns hilft, interne Prozesse weiter zu optimieren und vor allem den Asylsuchenden noch besser zur Seite zu stehen.

Während der Phase I der Evaluation des Rechtsschutzes wurden einerseits Interviews mit Personen aus der Rechtsvertretung (RV), sogenannten fachverantwortlichen Teamleitungen, und leitenden Mitarbeitenden des SEM aus allen sechs Asylregionen geführt. Andererseits analysierte man 130 Einzelfalldossiers mit SEM-Entscheiden vom März bis Dezember 2019. In Phase 2 wurde neben erneuten Interviews und eine Analyse von Rechtsschriften vorgenommen. Über beide Phasen hinweg wurden zudem Dokumente, Statistiken und Rechtsprechung des BVGer ausgewertet.
Gestützt auf all diese Untersuchungen kam das SKMR zum Schluss, dass der Rechtsschutz in allen sechs Asylregionen in der Schweiz neben einigem Verbesserungspotential gut umgesetzt werde. In den uns betreffenden Asylregionen Zürich und Bern wurde die Qualität der Rechtsschriften ausdrücklich als positiv hervorgehoben – selbst bei Stellungnahmen, für die wir in der Regel nur 24 Stunden Zeit haben. Es bestätigt uns darin, auch in Zukunft jeden Fall sorgfältig zu analysieren und die Frage, ob eine Beschwerde erhoben wird oder nicht, weiterhin nach dem Vieraugenprinzip zu klären.

Stefan Frost, Fachverantwortlicher der RBS Bern in Zürich, wurde kürzlich vom Magazin «plädoyer» zu einem Gespräch über die Umsetzung des beschleunigten Asylverfahrenseingeladen. Frost hält darin fest, dass das Verfahren einen Gewinn für die Betroffenen darstellt: «Das Asylsystem ist kein Migrationssteuerungssystem, sondern ein Schutzsystem. Und die Schutzquote zeigt, dass es funktioniert. Die Anzahl positiver Asylentscheide ist hoch.» Gerade auch nach diesem Gespräch wünscht sich die RBS Bern, dass sich die öffentlich geführten Debatten um den Rechtsschutz im beschleunigten Verfahren nun endlich von der politischen Ebene hin zur rechtswissenschaftlichen Ebene bewegen. Denn der wissenschaftliche Diskurs dazu ist bis heute zu kurz gekommen. Zu oft wurden und werden rechtliche Sichtweisen mit politischen Standpunkten vermischt. Auf Basis des Evaluationsberichts ist es nun an den Juristinnen und Juristen, sich nicht nur über die Rechtsnatur, sondern vor allem mit der professionellen Wahrnehmung der Rolle der Rechtsvertretung zum Schutz der asylsuchenden Menschen im Asylverfahren auseinanderzusetzen.

Da stellen sich nach wie vor spannende fachliche Fragen und in der Umsetzung besteht immer wieder Potential für Verbesserungen. So sehen wir beispielsweise die Herausforderung, wie wir noch besser und nicht nur zu Beginn, sondern während des ganzen Verfahrens sicherstellen können, dass weder für die vertretenen Personen, noch für die RV, Missverständnisse hinsichtlich der mit der Rolle der RV verbundenen Aufgaben entstehen. Denn aufgrund der vielen Herausforderungen, mit denen wir die geflüchteten Menschen konfrontiert sehen, geraten unsere RV unweigerlich in die Situation, neben der für sie vorgesehenen Rolle der anwaltschaftlichen Vertretung beispielsweise auch noch in die Rolle einer Sozialberatung oder Traumaexpertin zu rutschen. Hier gilt es immer wieder in die zugewiesene Rolle zurückzufinden und Klarheit betreffend der Rollenwahrnehmung der Klientschaft zu schaffen. Eine Herausforderung, an der selbst erfahrenste Mitarbeitende zu beissen haben. Insgesamt gibt uns die Evaluation PERU viele wertvolle Hinweise, wie wir unsere Arbeit verbessern können. Sowohl aus fachlicher als auch aus rechtlicher Sicht lässt der Bericht keine Punkte offen und es bleibt nur zu wünschen, dass es auch in Zukunft ein solches Monitoring geben wird. Nur so bleiben wir achtsam und legen weiter los.

Volldabei
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