Gesprächsführung lernen, statt hinterm Bildschirm zu versauern

Jedes Jahr erhalten bei der RBS Bern vier PraktikantInnen fundierte Einblicke in den Rechtsschutz im Asylverfahren. Marc Richard – heute Rechtsvertreter im BAZ Bern – erinnert sich an eine lehrreiche Zeit, zu der eine gute Prise Idealismus gehört.


Sechs Monate lang reinschnuppern und die Arbeit im Rechtsschutz von innen kennenlernen. Dutzende Gespräche mit KlientInnen aus aller Welt führen. Hautnah mit anderen Kulturen und regionalen Besonderheiten in Kontakt kommen. Klingt hochspannend, und das ist es auch, wenn man Marc Richard zuhört: «In diesem Job ist viel Geschichte und Politik drin – dazu spricht mich das Menschliche an», sagt er über die Arbeit der RechtsvertreterInnen im Asylverfahren.

Bevor der 29-Jährige im Juli 2020 ins Praktikum startete, absolvierte er in Bern im Eiltempo den Jus-Bachelor sowie -Master und hängte gleich noch das Anwaltspatent an. Sein fachlicher Fokus lag dabei stets auf dem Asyl- und Ausländerrecht. Von der offenen Praktikumsstelle bei der RBS Bern erfuhr er über einen Koordinator, mit dem er in seinem Job als Hilfswerkvertreter im Asylverfahren arbeitete. Noch am selben Tag bewarb er sich. Als die Zusage kam, entschied er sich für die RBS Bern und gegen eine Stelle beim Staat, die er bereits in der Tasche hatte: «Der Einsatz für Menschen, die in ihrem Leben etwas weniger Glück als ich hatten, war zentral bei der Entscheidung, ein weiteres Praktikum zu machen. Ich war immer schon ein etwas naiver Idealist und wollte alles verändern – so kann ich meinen Teil beitragen».

Nach früheren Praktika bei der Staatsanwaltschaft, einem Beratungsunternehmen in der Privatwirtschaft und einer Kanzlei in Bern, startete Marc Richard also ein weiteres beim Rechtsschutz im BAZ Zürich. Worin unterschieden sich die Stellen? «In anderen Jobs sitzt man am Pult, schreibt Stellungnahmen, Beschwerden oder Entscheide. Als Rechtsvertreter im Asylverfahren ist man viel unterwegs; hier und dort läuft was, man führt kleine und grosse Gespräche», beschreibt Richard den Job, der sich stark vom klassischen juristischen Tagesgeschäft unterscheide.

Zu Beginn seines Praktikums führte er zahlreiche Dublin- und Erstgespräche und war parallel dazu oft in der offenen Beratung tätig, weil es dort personelle Ausfälle gab. So lernte er viel über die Anwendung des materiellen und prozessualen Asylrechts und konnte zugleich auch in der Beratung profitieren, wie er sagt: «Als Rechtsvertreter weisst du immer, in was für einen Termin du hineinläufst. In der offenen Beratung hast du keine Ahnung und triffst auf eine Person, über die du noch nichts weisst.»

Einerseits war das eine Herausforderung, andererseits hatte es einen grossen Lerneffekt. «In der offenen Beratung lernte ich viel über den Umgang mit Menschen, das eigene Auftreten, das Abholen des Gegenübers und Gesprächsführung, was im Studium nicht vermittelt wird», fasst der Jurist rückblickend zusammen. Und das lief immer reibungslos? Fast. Und wenn es mal brenzlig wurde, konnte Richard sich auf sein Team verlassen: «Ich spürte schnell, dass die Fachverantwortlichen sehr kompetent sind in dem, was sie tun. Wenn ich irgendwelche Fragen hatte, konnte ich immer zu ihnen oder anderen RechtsvertreterInnen im Team.»

Zu Beginn seines Praktikums sei es drunter und drüber gegangen. Das Gefühl, ein super Team und kompetente Fachverantwortliche im Rücken zu haben, habe da definitiv geholfen. Einfach war es trotzdem nicht immer. Etwa dann, als ein ehemals hoher Militärfunktionär, der Jahrzehnte älter als Richard war, ihn beim Erstgespräch belehren wollte und durchgab, wie er zu arbeiten habe. In solchen Fällen sei Ruhe und Geduld angesagt, erzählt er: «Ich bedankte mich für den Input und erklärte ihm, dass ich gerne auf ihn zurückkomme, falls ich Tipps dabei brauche, wie ich meine Truppen verschieben und strategisch vorgehen soll. Wenn er aber in der Schweiz nach Asyl ersuche, dann sei das schon eher mein Metier.» Am Ende verstand man sich – zu Beginn aber, war das Vertrauen in sich selbst und die eigenen Fähigkeiten wichtig. Die Ruhe hat Richard behalten. Auch heute noch, wenn er im BAZ Bern als Rechtsvertreter deutlich mehr Fälle betreut, als während der Zeit im Praktikum.

Volldabei
FluchtRechtSchutz